Seit 2015 wohne und studiere ich nun in Reutlingen. Zu Beginn, muss ich gestehen, war ich nicht sehr positiv auf Reutlingen als Studentenstadt zu sprechen. „Da gibt’s doch eh nichts.“ habe ich mir nicht selten gedacht, und bin zum Kaffee trinken und schöne Orte entdecken in das 15 minuten entfernte Tübingen gepilgert. Tübingen hat das Flair, das viele Studierende an Reutlingen so vermissen: ein alternativer studentischer Hauch gepaart mit Rabatten auf Heißgetränke mit dem Studentenausweis und süßen Cafés und Bars mit rustikaler Einrichtung und der richtigen Atmosphäre.
Jetzt nach 4 Jahren kam aber die Erleuchtung: Reutlingen kann ziemlich schön sein und bietet auch echt was, wenn man nur an den richtigen Orten sucht. Man muss nicht nach Tübingen fahren um entspannt Kaffee zu trinken oder an einen Fluss zu sitzen – das geht auch in Reutlingen.
Weiter liegt mir persönlich noch viel mehr die alternative Szene am Herzen. Reutlingen ist seit Mai 2012 fairtrade Stadt – das weiß man halt, weil überall in der Stadt Sticker verteilt sind. Mit ein bisschen Recherche finden sich da auch, auf der städtischen Homepage sogar Informationen und ein „Fairführer“ zu dem Thema. Wirklich begegnet ist mir das Ganze in der Öffentlichkeitsarbeit der Stadt aber nie, und auf dem Campus kommt erst recht nichts davon an.
Aus diesem Grund habe ich beschlossen in eigener Sache, die Orte vorzustellen, über die ich in letzter Zeit per Zufall gestolpert bin. Orte mit Menschen aus Reutlingen, die versuchen die Stadt ein bisschen besser und grüner machen und den Gedanken der „fairtrade Stadt“ wirklich leben. Orte an denen Menschen Reutlingen schöner machen und der Stadt das Flair verpassen, das wir Studierende so vermissen.
Anfangen will ich mit dem Onlineshop better2gether-shop.com, der ein breites Produktspektrum von Fair Fashion über Holzlöffel bis hin zu festem Shampoo bietet, und seit letztem Jahr auch diese Produkte in der Oststadt Reutlingens in ihrem Store/Lager/Büro verkaufen. Ein halbes Jahr bin ich jeden Tag an dem grünen Fahrrad mit großem Logo vorbeigefahren, dass den Store von bether2gether am Straßenrand ankündigt, bis ich rein aus Neugierde einen Interview Termin mit Henrik Junger, dem Gründer dieses Unternehmens ausgemacht habe.
Henrik Junger hat mich schwer beeindruckt. Seit 2008 führt er das Unternehmen mit einer unheimlich erfrischenden Selbstverständlichkeit für Nachhaltigkeit. Er redet nicht viel darüber was er Tolles unternimmt um die Welt zu retten, sondern macht einfach, und das aus einer tiefen Überzeugung für die Sache an sich heraus.
Zwei Stunden und vier Seiten Notizen lang, hat mich Henrik Junger durch die Welt von better2gether geführt und am Ende habe ich verstanden: Better2gether ist nicht nur ein Online Shop für Konsumgüter mit gutem Karma, sondern eine Lebensphilosphie. „Gemeinsam Handeln“ – das ist das wofür Henrik Junger lebt. Alles in seinem Unternehmen ist auf Gemeinschaft ausgelegt. Von der Tatsache ausgehend, dass better2gether ein Familienunternehmen ist, bis hin zu seinem vielseitigen Engagement in alle Richtungen der Gesellschaft. Er hält Vorträge über Fair Fashion, Engagiert sich für den Erhalt der Artenvielfalt, ist Mitglied der Aktionsgruppe Müllvermeiden in Reutlingen, arbeitet mit Schulen zusammen und hat noch so neben bei die letzten Jahre ein Festival in Reutlingen organisiert, über dessen nachhaltige Kernphilosphie ich nur staunen kann. Als ich ihn frage wie und warum er das alles tut, zuckt er nur mit den Schultern und sagt, er wolle seinen Kunden zeigen, dass es selbstverständlich für ihn als Unternehmer ist, gemeinsam an er Lösung für eine bessere Welt zu arbeiten – „Better together“ halt.

Herr Junger, was hat sie 2008 dazu inspiriert einen Online Shop für Faire und Nachhaltige Produkte zu gründen, damals war das Thema noch weit nicht so präsent wie es heute ist?
Alles fing 2008 mit der Eröffnung eines kleinen Ladens in Reutlingen an, in dem wir damals Fair Fashion verkauft haben.
In meiner Familie wurde Nachhaltigkeit schon immer gelebt. Vor der Gründung von better2gehter habe ich im Bio Lebensmittel Bereich gearbeitet. Irgendwann hat sich das mit der Idee für einen Fair Fashion Laden dann einfach ergeben. Ich war damals 20 und das Ganze war eher ein Prozess, der sich dann mit der Eröffnung des Ladens einfach natürlich angefühlt hat. Ich hatte keinerlei Rücklagen, aber war davon überzeugt, dass die Idee funktioniert.
Es war logisch für mich damals, etwas mit Bio und Fairtrade Produkten zu machen. Etwas anderes wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen. Das Thema war zu dieser Zeit noch sehr neu und so kam sogar der Gründer von ARMEDANGELS 2008 sogar persönlich zu unserer Store Eröffnung. Wir fingen mit Marken, eben wie Armed Angels oder Thokkthokk an, deren Kollektionen damals aus ein paar wenigen Basics und Printshirts bestanden, und boten Charitea und Lemonaid an, die damals auch noch ganz neu und klein waren. In dieser Zeit sind viele der ersten Fair Fashion Labels aufgeploppt. Das war so eine richtig kleine Nische am Anfang, für die es nicht mal Messen gab. Der Moment diese Art von Laden zu eröffnen, hat sich zu dieser Zeit einfach richtig angefühlt. Da gab es eben diese Nische und die wollte ich in die Reutlinger Innenstadt bringen.
Es war mir von Anfang an aber auch klar, dass ich mehr sein wollte, als nur ein Händler. So habe ich schnell angefangen Vorträge zu halten und mit Schulklassen zusammen zuarbeiten, um zu erklären um was es bei fairer Mode geht.
Irgendwann haben wir mit Ladenkonzerten angefangen. Also kleine Konzerte in unserem Store. Daraus ist dann ein Indie Festival mit dem Namen „Burning Eagle“ entstanden, das sich die letzten Jahre zum Geheimtipp unter Festival Gängern entwickelt hat und zum besten neuen Festival in Europa nominiert wurde. Für das Festival haben wir am Ende sogar mit einem Ornitologen zusammengearbeitet, um genau herauszufinden, wann und wie laut man Musik machen kann, ohne die Vögel und Fledermäuse um das Gelände herum zu stören. Wir haben uns 2 Jahre Zeit für die Vorbereitung genommen, damit die Philosphie perfekt war. Selbst das Catering im Backstage Bereich war Bio von der Schwäbischen Alb.
Better2gether – das war von Anfang an als Netzwerk gedacht. Ich wollte in klein zeigen, wie es in der großen Welt funktionieren soll.
Dieses ganze Engagement gehört zur Unternehmensphilosophie. Das hat keinen unmittelbaren Nutzen für das Unternehmen, aber den Nutzen sich in die Gemeinschaft einzubringen und als Unternehmen integriert und engagiert zu sein.
Wir sind dann auch zum Ausbildungsort für Menschen geworden, die allgemein einen eher schwierigeren Start ins Berufsleben hatten. Das will ich jetzt alles gar nicht so hervorheben und mich damit brüsten. Mir geht es mehr darum zu zeigen, dass better2gether schon immer für Gemeinschaft – für ein WIR Gefühl stand und steht.
2010 ging der Shop online. Das wurde irgendwann zu viel Arbeit, weswegen wir dann 2013 den Laden geschlossen haben und uns primär auf den Online Shop fokussiert haben. Letztes Jahr haben wir dann den Store hier in der Oststadt eröffnet, der gleichzeitig noch Lager und Büro ist.

Rückblickend, was war ihre größte Hürde?
Hm… Henrik Junger lacht verlegen die gab es nicht wirklich. Es hat irgendwie alles immer funktioniert.
Ich würde unsere Unternehmens Philosophie allgemein als sehr unaufgeregt beschreiben. Wir machen einfach. Wir haben ganz klein angefangen und dann ist das Alles ganz langsam organisch gewachsen. Wie gesagt, jede Entscheidung ist durchdacht und langfristig – nachhaltig eben – getroffen worden.
Better2gehter ist weiter ein Familienunternehmen. Wir haben natürlich auch sehr von diesen altersbedingten verschiedenen Ansichten profitiert. Der Tatendrang der jüngeren Generation versus die geduldigere Weitsicht der älteren Generation. Das hat uns geholfen, die richtigen nachhaltigen Entscheidungen zu treffen.
Etwas später im Gespräch erzählt mir Henrik Junger, wie sie ihren neuen Laden das letzte Jahr Barriere frei machen wollten und ihr Vermieter das so toll fand, dass er mit ihnen gemeinsam eine Rampe für den Laden gebaut hat – einfach so. Er grinst und meint „better together“ halt. Und ich kann nur staunen.

Nach welchen Kriterien wählen sie ihre Produkte aus?
Mein Grundsatz war ein bodenständiges Wachstum. Jede Entscheidung haben wir deswegen langfristig und durchdacht getroffen, so wie es eben am nachhaltigsten für das Unternehmen ist. Das Unternehmen sollte in einer gesunden Geschwindigkeit wachsen und nicht durch kurzfristige Entscheidungen gefährdet werden.
Das trifft auch auf die Auswahl unserer Produkte zu.
Allgemein haben wir von Anfang an eine breite Kundschaft bedient und waren nie in der Nische drin. Mein Ziel war es, echt Alternativen zu bieten. Also ein Basic Shirt anzubieten, dass etwa in derselben Preisklasse liegt, wie eines, was man auch in anderen konventionellen Läden in der Fußgänger Zone erhält.
Textilien sind unser Hauptsortiment. Da bieten wir ein breites Spektrum an Jeans, Shirts, Unterwäsche, Socken etc. an. Dann haben wir noch den Heimbereich, also Küchenutensilien und solche Dinge. Und immer mehr Zero und Less Waste Produkte.
Bei den Produkten für den Heimbereich haben wir eine Mischung aus klassischem Fairem Handel und sozialen Wertstätten aus Deutschland. Wir wollten uns da nie nur auf einen Ansatz festlegen, sondern eine Kombination auswählen aus Produkten, die Sinn ergibt.
Was mir wichtig ist, ist dass man als Unternehmen die Pflicht hat, dass so ein Trend wie jetzt Zero Waste zum Beispiel als allgemeiner Wandel langfristig bestehen bleibt. Man muss da dran bleiben, Aufklärungsarbeit leisten und eben langfristig nachhaltig diese Produkte anbieten.

Ich will nur Produkte für mein Sortiment auswählen, die Zukunft haben. Denn nur über langfristige Entscheidungen kann ich auch eine Vertrauensbasis zu den Lieferanten und Unternehmen schaffen. Und Vertrauen, das ist mein wichtigstes Kapital. Über dieses Vertrauen haben wir es über die Jahre geschafft eine solidarische Käuferschaft aufzubauen. Bei uns soll alles Transparent sein, weswegen wir auch unser Büro im Laden offen zugänglich haben. Man kann sich hier hinter nichts verstecken.
Weiter machen wir kein DropShipping. Das heißt, alles was online ist, haben wir auch tatsächlich auf Lager. Das wissen unsere Kunden auch, weswegen viele auch online checken, was wir im Sortiment haben, und dann persönlich vorbeikommen und es in unserem Laden kaufen.
Uns ist es natürlich auch total wichtig, den Online Handel so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Da stecken wir vor allem viel Zeit in ausführliche Produktbeschreibungen, um unsere Retouren zu minimieren. Bei Wohnartikeln haben wir sogar so gut wie keine Retouren. Bei Textilien weit weniger als das, was man sonst in den Medien so hört. Bei uns kommt weit weniger als jedes 2. Teil zurück.
Als ich ihn frage, wie das so mit Verpackungsmüll ist, sagt er, dass es ihm schon fast peinlich ist zu erzählen, dass sie ihre Kartons eben so oft wie möglich einsetzen und kein Plastikfüll Material verwenden. Das sei eben total normal und gesunder Menschenverstand.

Sie sprechen auf ihrer Homepage von einer Kooperation mit Weltläden der Region. Was steckt dahinter?
Wir kooperieren mit dem Weltladen in Tübingen beispielsweise. Die führen selbst keine Textilien im Sortiment und haben aus diesem Grund einen Warenträger in ihrem Laden, den wir von better2gether wöchentlich auffüllen und regelmäßig wechseln.
Auch bei Events treten wir gemeinsam auf, denn Kooperation ist wichtiger als Konkurrenz. Wir verfolgen das gleiche Ziel, und ein gemeinsames Auftreten hat so natürlich auch eine stärkere Wirkung nach außen. Für uns sind die Weltläden die Pioniere des fairen Handels und über unsere Kooperationen haben wir es erreicht, dass es auch wieder mehr junge Menschen in die Weltläden zieht.
Hat sich das Konsumverhalten über die Jahre hin verändert? Spürt man einen Wandel hin zu mehr Wertschätzung?
Das kann ich schwierig einschätzen. Wir haben es geschafft über unsere Art wie wir das Unternehmen über die Jahre geführt und aufgebaut haben schon immer einen breiten Querschnitt und keine Nische anzusprechen. Darüber, dass wir uns eben eine so breite und solidarisch Stammkundschaft aufgebaut haben, ist es schwer für uns zu sagen, ob sich da jetzt ein Wandel bemerkbar gemacht hat.
Was mir aufgefallen ist, dass less waste Produkte immer wichtiger werden. Die Menschen merken immer mehr das alles zusammenhängt, also dass es Sinn macht sich auch über seinen Plastikkonsum zu informieren, wenn man ein Bio Baumwollshirt kauft. Da findet ein ganzheitliches Umdenken statt.

Ich frage ihn daraufhin, wie sie es geschafft haben, so ein Vertrauen aufzubauen und vor allem so viele verschiedene Gesellschaftsschichten mit einer so nischigen Geschäftsidee anzusprechen.
Was wir von Beginn vermittelt haben war, dass es eben nicht den perfekten Ökologischen Artikel gibt. Man muss immer Abstriche machen, aber das muss man auch offen und transparent kommunizieren. Es gibt eben kein perfektes Produkt, so wie es eben auch nicht die eine Lösung oder den Masterplan gibt. Das ist aber kein Grund die Sache an sich schlecht zu finden, hysterisch zu werden und zu sagen, dass das eh alles gar nichts bringt.
Wir wollen unseren Kunden vermitteln, dass wir auch auf der Suche nach einer Lösung sind, und sie auf dem Weg dahin mitnehmen wollen.
Ein echtes WIR Gefühl eben, dass alle teil dieses Prozesses sind. Und das erreichen wir, denke ich, über unser Engagement neben dem Online Shop her. Darüber, dass wir uns für jeden einzelnen Kunden, der in unseren Laden kommt, Zeit für Gespräche nehmen und offen kommunizieren.
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Das Gespräch mit Henrik Junger war eins dieser Gespräche, bei denen man seine Batterien aufladen kann, wenn es um die Motivation zu Weltrettung geht. Er zeigt einem auf eine unglaublich unaufgeregte und zuversichtliche Art und Weise, dass es sich lohnt sich für eine bessere Welt einzusetzen und wie wirksam das auch im kleinen sein kann.
Ich danke Henrik Junger für das tolle Gespräch und die Zeit.
Unter https://www.better2gether-shop.com/ findet ihr den Online Shop better2gether
Das Ladengeschäft hat
Mo – Fr 10.00 – 18.00 Uhr
Sa 10.00 – 16.00 Uhr
geöffnet und liegt in der Bismarckstraße 63 in Reutlingen
Sehr schön geschrieben, danke für die Anregung.
Sehr sehr gerne! Dankeschön!